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Sommerlektüre 2020

… für den Garten, vor dem Zelt oder Camping-Bus oder am Strand…

… empfohlener Abstand inklusive – virusfreie Zone …

Meine diesjährige Sommerlektüre ist das Buch „The Great Influenza“ (2004) von John M. Barry. Der Autor ist Journalist und hat in diesem Buch die schreckliche Geschichte der Spanischen Grippe 1918 in den USA verarbeitet. Barry verwebt die heute bekannten Fakten zu dieser Grippe-Pandemie mit persönlichen Geschichten von Zeitgenossen, mit Zeitungsartikeln und Reaktionen der Politiker, vom Präsidenten bis zum Bürgermeister. Er erzählt von den heroischen Versuchen der Wissenschaftler und Mediziner, die Krankheit in den Griff zu bekommen, sowie den massiven, bewussten Fehlentscheidungen der politischen und wirtschaftlichen Kasten, die ihre persönlichen Vorteile in Gefahr sahen.

Für den heutigen Leser sind die Parallelen zur COVID-19 Pandemie des Jahres 2020 tragisch, aber auch erhellend. Städte, die zu spät auf die Bedrohung reagiert hatten, wurden furchtbar hart getroffen. Städte, die zu früh die Sanktionen aufhoben, wurden mit einer heftigen sog. „zweiten Welle“ konfrontiert, an der Tausende starben. Auch 1918 wurde z.T. gezielt falsch informiert, vor allem um die Bevölkerung nicht zu sehr zu beunruhigen (damals hieß es, es wäre „nur die Grippe“ und die Angst davor wäre wesentlich gefährlicher als das Virus selbst). Das kommt einem heute sehr bekannt vor, wenn man Berichte aus den USA und einigen anderen Ländern hört.

Auch 1918 wurde von wissenschaftlichen Journalen Schrott publiziert, weil nicht genug Zeit für peer-review war, auch 1918 gab es Scharlatane, die Allheilmittel verkauften, auch 1918 gab es Versuche, alte Medikamente neu einzusetzen, oder gar Impfungen gegen andere Krankheiten einzusetzen. Hier hat sich in den letzten hundert Jahren nicht viel geändert. Die Wissenschaft hat sich weiterentwickelt, die Gesellschaft und vor allem die machtbewusste Politik aber nicht. Letztere musste das wohl auch nicht.

Das Buch macht klar, warum wir Glück haben, in Deutschland eine bislang verantwortungsvoll handelnde Regierung und ein funktionierendes föderales System zu haben.

Falls Sie noch keinen Lesestoff für den Sommer haben, dann ist dies eine Empfehlung. Das Buch ist großartig geschrieben, ein echter page-turner, aber keine Bettlektüre. Lesen Sie es tagsüber, sonst werden Sie schlecht schlafen.

Für eher entspannende, unterhaltsame und lehrreiche Lektüre kann ich folgende Bücher empfehlen:

Jared Diamond (1997): “Guns, Germs, and Steel”. Diamond beschreibt die Entwicklungsgeschichte der modernen Menschheit in einem sehr lesenswerten, außergewöhnlichen Buch, das den Einfluss von Agrikultur, Krankheiten, Kriegen etc. auf die verschiedenen Weltregionen betrachtet. Er räumt ganz nebenbei auf mit dem Schwachsinn rassischer Unterschiede und Vorurteile. Bitte lesen Sie das Original, denn die deutsche Fassung hat sich schon durch ihren Titel „Arm und Reich“ vollkommen disqualifiziert. Der Übersetzer hat nicht verstanden, worum es in dem Buch geht.

Horace Freeland Judson (1979): „The Eighth Day of Creation”. Der Autor beschreibt hier äußerst unterhaltsam die Entstehung der modernen Molekularbiologie. Von ihren Anfängen mit etlichen Protagonisten, von denen viele später mit Nobelpreisen ausgezeichnet wurden, bis zur Etablierung des Faches in den Naturwissenschaften Jahrzehnte später. Viele persönliche Kommentare und Interviews der daran Beteiligten machen das Buch sehr lebendig. Das wäre eine Bereicherung für die heutige Schul- und Allgemeinbildung.

Jeremy Cherfas and John Gribbin (1984): “The Redundant Male” – Ein phantastisches Buch über die Rolle des männlichen Geschlechts in Fortpflanzung und Evolution, wissenschaftlich fundiert, unterhaltsam und mit einem gelegentlichen Augenzwinkern erzählt. Sehr ernüchternd für die Männer, die noch immer einem altmodischen Frauenbild anhängen, daher liebe Altdenkende, und liebe Patriarchen: Zieht Euch warm an, denn Ihr seid mit Eurer Denkweise Auslaufmodelle, auch biologisch gesehen. Leider ist dieses Goldstück heute schon nur noch antiquarisch erhältlich.

Richard Dawkins (ed., 2008): “The Oxford Book of Modern Science Writing”. Dies ist eine Sammlung lesenswerter Essays und Artikel, sowie Ausschnitten aus größeren Werken, rund um die Wissenschaften und ihre Protagonisten. Dawkins versammelt bekannte Forscher aus verschiedensten Disziplinen (Astrophysik, Evolutionsbiologie, Neurobiologie, Mathematik, Chemie …), die sich über ihre Arbeit, ihr Denken und Handeln äußern. Pro Einlassung sind das weniger als zehn Seiten, das macht die Essays zu einer schönen Lektüre für einen Tag am Badesee, am Meer, in der Hängematte im Garten, oder im Klappstuhl vor dem Zelt oder dem Camping-Bus.

Gemeinsam ist dieser Lektüre, dass sie in gebotenem physischem Abstand gelesen werden kann. Ich wiederhole mich gerne: Abstand, Abstand, Abstand.

Wissenschaft und ihre Geschichte sind ein spannendes und lebendiges Feld. Wissenschaft ist eine Bereicherung, und Fortschritt hat schon immer Wohlstand gesichert. Leider hat die Europäische Union der Forschungsförderung erst kürzlich einen Schlag verpasst. Das ist sehr kurzsichtig. Wir hoffen, dass einzelne Länder in der EU es schaffen, das Rennen international aufzunehmen. Die EU ist hier nur ein einzelner Player weltweit. Die Entscheidungen, die jetzt in dieser Hinsicht gefällt werden, werden auch einmal Teil der Wissenschaftsgeschichte sein. Die Rolle Europas ist nicht festgelegt, sie muss ständig neu erarbeitet werden.

Ich empfehle, auf Fortschritt zu bauen, nicht auf Rückschritt. Ihr Jörg Baumann

SAJO – für eine gesunde und bessere Zukunft!

Dies bietet mir die Gelegenheit, all den Giganten zu danken, auf deren Schultern wir heute stehen. Ihr Genie, ihr Enthusiasmus und ihre unermüdliche Arbeit haben die Grundlagen für die heutigen Fortschritte gelegt. Danke!