Diesen politischen Entwurf müssen wir als Virologen*innen kommentieren.
13. April 2021
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Das Positive dieses Vorhabens ist die Tatsache, dass es einheitlich und verbindlich ist. Einzelne Bundesländer können nicht mehr aus reinem Opportunismus ausscheren.
Um es vorwegzunehmen: Das ist kein großer Wurf, es ist Hoffen und Bangen, und baut auf der Annahme auf, dass es bis zu einer bundesweit erfolgreich durchgeführten Impfkampagne schon nicht so schlimm kommen wird. Das ist ein Irrtum.
Zuerst ein wichtiger Punkt: Die Bremse ist zweistufig und unvollständig. Es gibt viel zu viele Ausnahmen. Gerade in Bereichen, die sich als hochansteckend herausgestellt haben.
Die Inhalte der einzelnen Maßnahmen kann jeder im Internet auf verschiedenen Nachrichtenportalen nachlesen.
Hier unsere Einschätzungen, wir gehen nur auf die Kernpunkte ein:
Kontaktbeschränkungen: Sie machen Sinn, auch schon unterhalb einer Inzidenz von 100. Eine Ausnahme für Kinder unter 14 Jahren schwächt diese Maßnahme ab, deshalb ist es nicht sinnvoll Kinder auszunehmen. Wir verstehen den sozialen und familiären Druck, aber vom virologischen Standpunkt aus macht das keinen Sinn.
Ausgangssperren von 21 Uhr bis 5 Uhr: Ausgangssperren sind das letzte Mittel, daher verstehen wir deren Einsatz ab einer Inzidenz von 100 nicht. Dies sollte als letztes Mittel bei noch höheren Inzidenzwerten, wie z.B. der zweiten Notbremse ab 200, eingesetzt werden.
Schließung von Freizeiteinrichtungen: Die Schließung von Bädern, Saunen, Clubs, Diskotheken und Bordellen für einen begrenzten Zeitraum halten wir für sinnvoll. Das Ziel, die Inzidenz so weit zu drücken, dass die Wiederöffnung solcher Einrichtungen erlaubt ist, kann ein Anreiz sein für die Bevölkerung, sich die Maßnahmen besser zu Herzen zu nehmen. Allerdings kann eine Wiedereröffnung erst stattfinden bei einer stabilen stark reduzierten Inzidenz, unser Vorschlag wäre 50, virologisch sinnvoll wäre 30.
Homeoffice soll ermöglicht werden: Erst ab einer Inzidenz von 100? Hier muss eine Verpflichtung zum Homeoffice ab sofort gelten. Das würde auch das Infektionsrisiko im ÖPNV stark verringern. Leider werden solche positiven Nebeneffekte in politischen Entscheidungen nicht berücksichtigt. Nur eine Möglichkeit anzubieten, ist viel zu schwach.
Das Schließen nicht essentieller Einzelhandelsunternehmen: Wir sehen, dass viele Einzelhändler entsprechende Maßnahmen getroffen haben, um sich und ihre Kundschaft zu schützen. Doch leider gibt es viel zu viele Ignoranten auch in diesem Sektor, die das Ganze zunichte machen. Polizei und Gewerbeaufsicht können nicht jeden einzelnen Betrieb täglich kontrollieren. Für den Einzelhandel muss es in diesem Fall Entschädigungen geben. Leidtragend sind diejenigen, die die Situation ernst nehmen.
Theater, Museen, Zoos: Das Schließen von Außenbereichen halten wir für übertrieben. Die Ansteckungsgefahr ist in geschlossenen Räumen groß. Zoos und botanische Gärten haben große Außenbereiche. Das muss für die Betreiber organisatorisch möglich sein.
Sport: Berufssportler dürfen weitermachen, aber Amateure nicht. Dabei sieht man, dass Mannschaften in den Fußballbundesligen ausfallen, weil sich laufend Berufssportler infizieren. Dafür haben wir kein Verständnis. Wenn Ausnahmen gewährt werden, dann müssen diese auch verantwortungsvoll umgesetzt werden. Diese Sportler haben ihre Vorbildfunktion verloren.
Gastronomie: So leid es uns tut, aber eine zeitlich begrenzte Schließung muss bei hohen Inzidenzen sein. Auch hier gilt die Annahme, dass dies der Bevölkerung einen Anreiz gibt, die Maßnahmen ernst zu nehmen.
Hochschulen: Präsenzunterricht soll untersagt werden, es sei denn, alle Teilnehmer*innen haben einen weniger als 36 Stunden alten negativen Coronavirus-Test? Dies ist vollkommen sinnlos. Ein 36 Stunden alter Coronavirus-Test ist wertlos. Der Test muss am gleichen Tag stattgefunden haben.
Tourismus: Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken sollen untersagt werden, wenn der Übernachtungsort oder der Wohnort des Gastes eine Inzidenz von 100 überschreitet. Auch diese Maßnahme macht bereits viel früher Sinn. Ab einer Inzidenz von 100 müssen sämtliche Übernachtungen untersagt werden. Das Virus unterscheidet nicht zwischen Touristen und Geschäftsreisenden.
Gottesdienste: Sie bleiben erlaubt. Das ist absurd. Mehr wollen wir dazu nicht sagen.
Maskenpflicht: Erst ab einer Inzidenz von 100 gilt eine FFP2-Maskenpflicht im ÖPNV. Das ist fahrlässig. Dies sollte ab sofort gelten.
Schulen und Kitas werden erst ab einer Inzidenz von 200 geschlossen. Das ist viel zu spät. Ab 100 bereits eine Ausgangssperre zu verhängen, aber Schulen und Kitas offen zu lassen, obwohl man weiß, dass Infektionen im geschlossenen Raum stattfinden, ist ein großer Fehler.
Auch in diesem Entwurf fehlt jeglicher Beitrag der deutschen Industrie. Es gibt ein Arbeitsschutzgesetz, das Arbeitgeber*innen dazu verpflichtet, die Mitarbeiter*innen zu schützen. Dazu gehören neben Distanz und FFP2-Masken auch tägliche Tests aller Anwesenden. Warum werden die Arbeitgeber*innen aus dieser Verpflichtung entlassen? Das ist uns unverständlich.
Auch Personen, die in einem großen Betrieb an einer isolierten Stelle arbeiten, gehen in die Umkleidekabinen, auf Toiletten, und hin- und wieder zu Teambesprechungen. Hier einen Unterschied zu machen, halten wir für falsch. Immerhin sorgt eine solche Testung auch dieser Personen dafür, dass sie im Falle eines positiven Ergebnisses auch ihre Familien und Freund*innen schützen können.
Testpflicht: Nach dem politischen Entwurf sollen Mitarbeiter*innen einmal wöchentlich getestet werden. Das können Sie sich sparen. Die Schnelltests identifizieren leider nur hochinfektiöse Individuen. Ein negatives Testergebnis kann sich innerhalb von 24 Stunden ändern. Als Beispiel: Wenn ein Individuum am Montag einen negativen Test aufweist, kann es sein, dass sich die Person am Samstag bereits infiziert hatte. Eine Woche später kann der Test wieder negativ ausfallen. In der Zwischenzeit hatte diese Person die Möglichkeit, dutzende Menschen zu infizieren. Hier gehört ein engmaschiges Testen mit Schnell- oder Selbsttests her.
Generell halten wir die Zahlen von 100 bzw. 200 für viel zu hoch angesetzt. Die Politik hat den Kampf bereits aufgegeben.
Ein großer Wurf wäre ein sofortiger, mehrwöchiger, konsequenter shutdown aller Bereiche, auch unter Einbeziehung von Handel und Industrie, wie wir in den letzten posts bereits dargelegt haben. Das würde die Infektionszahlen signifikant und nachhaltig verringern, und der Welt zeigen, dass Deutschland die Situaiton ernst nimmt und dazu fähig ist, aus diesem Schlamassel herauszukommen.
Im Endeffekt wird durch diesen Maßnahmenkatalog die Verantwortung wieder auf die einzelnen Bürger*innen abgewälzt. Deshalb unser Aufruf: Nehmen Sie die Situation ernst und schützen Sie sich auch weiterhin. Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, muss auf Biegen und Brechen auch getan werden.
Ihre Sabine Breun und Jörg Baumann
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