Kommentar zum Vorschlag einer Änderung des Grundgesetzes
von Dr. Jörg Baumann und Dr. Sabine Breun, 7. April 2020
In der augenblicklichen Ausnahmesituation ist es unverantwortlich, über Änderungen unseres lange-erprobten Grundgesetzes nachzudenken.
Wir sind Virologen, wir sind Wissenschaftler, wir sind Firmengründer, und wir sind auch Bürger einer demokratischen Republik. Als letztere äußern wir uns heute.
Mehrere Medien berichteten, dass der Bundestagspräsident eine Änderung des Grundgesetzes anregt, um ein verkleinertes „Notparlament“ zu ermöglichen.
Als Bürger einer Demokratie sehen wir dies mehr als kritisch. Unser Land befindet sich in einer Ausnahmesituation. Das Grundgesetz liefert alle notwendigen Voraussetzungen dafür, dass die Bundesregierung, das Parlament und die Landesregierungen im Sinne der Bundesrepublik und ihrer Bürger agieren können. Es gibt keinen Grund, an die Basis unserer Demokratie zu rühren!
Sollte sich im Laufe der aktuellen Krise herausstellen, dass die existierenden Gesetze und Mechanismen nicht für zukünftige Situationen gerüstet sind, dann kann dies in einem geregelten parlamentarischen Prozess, eventuell unter Einbeziehung der Wähler, geregelt werden. Verfassungsänderungen in Zeiten der Krise sind falsch. Bitte lernen Sie aus der Vergangenheit!
Wenn der Bundestagspräsident ein kleineres Parlament bevorzugt, dann können wir das nachvollziehen. Ein kleineres Parlament ist entscheidungsfreudiger, beweglicher, kostengünstiger und weniger von parteipolitischer Ranküne geprägt. Dazu braucht es kein „Notparlament“, aber ebenfalls eine Verfassungsänderung; diese aber bitte mit gebührendem Abstand zu der augenblicklichen Krisensituation.
Wir haben eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Gut so. Wenn einzelne Personen vom Wähler unterstützt werden, dann ist dem nichts entgegenzusetzen. Wer mit Argumenten überzeugt, kann und soll gewählt werden. Wenn aber eine Parteienliste aufgestellt wird, die den Listeninhabern durch Zweitstimmenanteile eine Bevorzugung beim Einzug ins Parlament gewährt, dann hat unser Wahlsystem ein Problem: Jede/r direkt gewählte Kandidat/in wird obenauf gesetzt. Das bläht das Parlament auf. Gegen dieses Problem gibt es eine einfache Lösung: Parteien erhalten Parlamentssitze gemäß der Zweitstimmenanteile. Direktmandate werden zuerst vergeben, dann folgen die Kandidat/innen nach ihrer Listenplatzierung. Kein einziges „Überhangmandat“ ist notwendig.
Unser Aufruf an die Parlamentarier: Bitte werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht.
Wir sind uns sicher, daß der Bundestag eine digitale Möglichkeit der Tagung finden wird, oder die Sitzung aufsplittet, so daß der notwendiger Abstand gewahrt werden kann.
Jörg Baumann und Sabine Breun