Frage an unsere Politiker*innen
9. Februar 2021
Morgen wird erneut über eine Lockerung der Schutzmaßnahmen debattiert. Warum? Es gibt keinen einzigen Grund, diese Maßnahmen jetzt zu lockern. Die Fallzahlen sinken zwar (letzte Woche auf 66 000 Neuinfektionen), aber sie sind noch weit von einem relativ sicheren Rahmen entfernt (lesen Sie dazu unseren vorigen Beitrag https://www.sajo-innovation.de/blog/de/strategie-2021-gegen-sars-cov-2/
66 000 Neuinfektionen pro Woche bedeuten 260 000 Neuinfektionen im Monat, hochgerechnet 3,2 Millionen pro Jahr. Bei einem linearen Wachstum wären das 4 % der deutschen Gesamtbevölkerung.
Der Ministerpräsident des Saarlandes hatte eine Erleuchtung: Lockerungen könne es nicht geben „wenn wir es nicht schaffen, die Zahlen nach unten zu korrigieren“. Sollte das kein einfacher Freud‘scher Versprecher gewesen sein, dann müssen wir anmerken, dass mit frisierten Zahlen nicht die Pandemie bekämpft wird, sondern die Glaubwürdigkeit.
Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion hat sich in einem Interview darüber beklagt, dass er keine Beispiele dafür fände, wie man es besser machen kann als in Deutschland. Nun, er wird ein Recherche-Team haben, das ihm diese Frage rasch und seriös beantworten kann. Falls nicht, sollte er das Team entlassen.
Wir verstehen, dass den Ökonomen die Ökonomie mehr am Herzen liegt als die Gesundheit der Bevölkerung. Das Wohlbefinden der deutschen Automobilbranche, der Luftfahrtindustrie und der großen Reiseveranstalter wiegen für sie schlicht schwerer. Das mag man unethisch nennen. Was wir jedoch nicht verstehen, ist, dass diese Ökonomen keine der vier Grundrechenarten zu beherrschen scheinen.
Dass ein zu großer Einfluss von Ökonomen einen tragischen Ausgang einer Seuche zur Folge hat, wurde bereits im Jahre 1720 beobachtet: Die Stadt Marseille ordnete für ein Schiff aus der von der Pest befallenen Stadt Tripolis eine Quarantäne (wie das Wort andeutet, 40 Tage) an. Mehrere Seeleute und der Schiffsarzt waren bereits unterwegs an der Pest gestorben. Auf massiven Druck der ortsansässigen Kaufleute (vulgo: Ökonomen) wurde die Quarantäne jedoch abgebrochen. In der Folge starben allein in Marseille 60.000 Menschen (60 % der Stadtbevölkerung). Dieses Beispiel entnehmen wir dem sehr empfehlenswerten Buch „Epidemics and Society“ (Frank M. Snowden, Yale University Press, 2020).
Zugegeben, das Coronavirus hat nicht die unmittelbare Tödlichkeit der Pest, aber Europa ist etwas größer als Marseille und die Mobilität ist in den letzten 300 Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Momentan liegt die Sterblichkeitsrate für COVID-19 bei etwa 2,3 %.
In Baden-Württemberg hat ein Gericht die nächtlichen Ausgangssperren gekippt. Richter scheinen in Deutschland auf Grundlage aktueller Zahlen zu entscheiden, sie nehmen die Gefahr eines exponentiellen Wachstums und das Auftreten viraler Mutanten nicht in ihre Entscheidung auf. Das Prinzip der Vorbeugung gibt es leider im deutschen Recht zu selten.
Hier ein Beispiel: Es hat Jahrzehnte gedauert, bis das deutsche Rechtssystem Stalking als Straftatbestand anerkannt hat. Zuvor wurde erst gehandelt, wenn der Stalker sein Opfer tätlich angegriffen hatte. Für diese Fälle gibt es vorbeugende Maßnahmen. Doch wir haben leider nicht Jahrzehnte Zeit für die Anwendung vorbeugender Maßnahmen im akuten Fall einer gefährlichen und hochansteckenden Seuche.
Wir warnen eindringlich vor jeder Art von Lockerungen der augenblicklich angewandten Schutzmaßnahmen. Mutationen, die sich schneller verbreiten als die ursprünglichen Varianten, werden überhandnehmen, mit entsprechenden Folgen.
Die Bevölkerung ist müde von den ständigen Änderungen und dem Jo-Jo-Effekt. Es nervt alle ungemein.
Zur Erinnerung: Nur so kann diese Pandemie erfolgreich in 2021 bekämpft werden. Wir bedauern, dies nochmals aussprechen zu müssen, doch dies wird der einzige Ausweg sein:
Ihre Sabine Breun und Jörg Baumann
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