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Persönlicher KOMMENTAR ZU EINEM ARTIKEL IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG

Replik zum Zwischenruf „Um jeden Preis“ von René Schlott, SZ online

von Dr. Jörg Baumann, 19. März 2020

https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-rene-schlott-gastbeitrag-depression-soziale-folgen-1.4846867

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte am 17. März 2020 einen Gastbeitrag von René Schlott, in dem der Autor seine Befürchtung eines freiwilligen Endes der uns liebgewonnen und hart erkämpften freien Gesellschaft äußerte. René Schlott ist Historiker und promovierter Lehrbeauftragter. Damit ist er qualifiziert für eine gesellschaftliche Einschätzung im Hinblick auf historisch nachvollziehbare Entwicklungen.

In seinem Beitrag warnt er sehr eindringlich vor einem Verfall der freiheitlichen Rechtsordnung. Das ist in der Tat ein dramatischer Aufruf!

Bezugnehmend auf das aristotelische „zoon politikon“, das ohne ein Gegenüber nicht existieren kann, verdammt er die augenblicklichen politischen Entscheidungen, eine soziale Distanz zu wahren. Kein Mensch kann auf Dauer ohne Gemeinschaft existieren. Darin stimme ich mit dem Autor überein.

Um bei dem folgenden, etwas hinkenden Vergleich, zu bleiben, möchte ich hinweisen: Auch ein Fisch ist in der Lage, für kurze Zeit das Wasser zu verlassen, ohne Schaden zu nehmen.

Aristoteles mag als schönes Beispiel für Ihre Argumentation dienen. Doch Aristoteles hatte keinerlei Kenntnis von Viren. Als hochintelligenter Mensch wäre er von diesem Konzept eines die Zellen usurpierenden Elementes wohl begeistert gewesen.

Mühsam über Jahrhunderte erkämpfte Rechte werden nach Ansicht des Autors außer Kraft gesetzt. Unter Berufung auf Virologinnen und Virologen. Genau auf diesen Satz möchte ich hier eingehen:

Das Recht auf Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit, Freizügigkeit, die Freiheit von Lehre und Forschung, Berufsausübung und Gewerbefreiheit sind seiner Meinung nach gefährdet. Wohlgemeint gefährdet durch die Entscheidungen der Bundesregierung, nicht durch eine Pandemie.

Als Virologe (Teil der von ihm zur Verantwortung gezogenen Disziplin) möchte ich hier folgendes anmerken: Keines dieser Rechte müsste außer Kraft gesetzt werden, wenn sich alle Mitglieder des „zoon politikon“ an ein paar einfache Regeln halten könnten.

Diese Regeln sind für jeden Einzelnen leicht nachvollziehbar. Dazu gehört eine gewisse räumliche Distanz, eine Begrüßung ohne Körperkontakt, regelmäßige Körperhygiene, sowie das Vermeiden größerer Menschenmengen. Das alles kann freiwillig geschehen! Leider hat das in den letzten Wochen in Deutschland nicht funktioniert. Mit den entsprechenden Folgen. Nur deshalb musste der Staat eingreifen. Ich bin ein Gegner staatlicher Eingriffe in die Rechte des Individuums! Aber wenn die Individuen nicht in der Lage sind, sinnvolle Maßnahmen zu befolgen und ein Mindestmaß an Solidarität zu zeigen, dann scheint es nicht anders zu gehen. Haben Sie einen sinnvollen Vorschlag? Betonung auf sinnvoll.

Sie haben eine vom ‚Primat der epidemiologischen Kurve‘ abweichende Meinung? Dann lassen Sie diese bitte hören. Ich habe sie in Ihrem Artikel nicht vernommen! Ich höre allerdings eine wissenschaftsskeptische Tendenz in Ihrem Satz. Wir Virologinnen und Virologen können Ihnen nicht sagen, wie diese Pandemie sich entwickeln wird. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir keine Glaskugel. Das macht uns zu Wissenschaftlern. Wir können lediglich Prognosen geben: Wenn das Treiben auf deutschen Straßen, mit fröhlichen Partys weitergeht, dann werden wir eine große Anzahl an Infektionen sehen. Opfer werden vor allem die Älteren unter uns sein. Passt das zu Ihrem Hinweis auf die rechtspopulistische Machtübernahme? Weg mit den Alten und Kranken, das hatten wir doch schon einmal! Ich bin über Ihre zynischen Kommentare bestürzt und enttäuscht.

19. März 2020, Dr. rer. nat. Jörg Baumann