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Pollen und SARS-CoV-2 in einer wissenschaftlichen Arbeit, ist das Euer Ernst?

Nonsense correlation part II

16. März 2021

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Ein kürzlich publizierter Artikel (https://www.pnas.org/content/118/12/e2019034118) in einer renommierten Wissenschaftsmagazin, PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America), hat in Deutschland hohe Wellen geschlagen, da die Medien sofort darauf angesprungen sind. Die TU München als federführende Einrichtung hat dazu sogar eine Pressemitteilung herausgegeben (https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/covid-19/artikel/article/36478/).

Um es vorwegzunehmen: Auch hier handelt es sich um eine statistische Korrelation, nicht um den Beweis der Kausalität. Zwei ähnliche Fälle (die einen Zusammenhang von COVID-19 und dem Konsum von Broccoli darstellten) hatten wir in der Vergangenheit bereits behandelt, den link dazu finden sie hier: https://www.sajo-innovation.de/blog/de/kausalitaet-oder-korrelation-wunschdenken-in-der-wissenschaft/

Wir schieben dies in die Schublade „Wissenschaftliche Satire“.

Wir gehen nicht in die Details, wir fassen zusammen: Die Autorinnen und Autoren behaupten, einen Zusammenhang zwischen der SARS-CoV-2 Infektion und der Anzahl in der Luft befindlicher Pollen gefunden zu haben.

Dies an sich wäre in der Tat eine interessante Beobachtung, denn sie würde das Tragen von FFP2-Masken noch um einen weiteren Faktor wichtiger machen. Wie Sie bereits wissen, sind wir starke Befürworter dieser Schutzmasken. Sie sind Partikelfilter, die neben Viren und Feinstaub auch Pollen herausfiltern. So weit so gut.

Die Autor*innen kommen aus den Fachgebieten Umweltmedizin, Allergologie, Meteorologie, Botanik, Mathematik, Ökonomie, Öffentliche Gesundheit, Umweltvorhersage (!) und Arbeitsmedizin. Auffallend ist die komplette Abwesenheit von Immunolog*innen und Virolog*innen. Vielleicht sind die Ergebnisse dieser „Studie“ und deren Interpretation damit zu begründen.

Die Prämisse des Artikels liegt in der Beobachtung, dass Pollen-Allergien eine Verringerung körpereigener Interferone verursachen können. Interferone bilden eine wichtige erste Verteidigung gegen alle möglichen Krankheitserreger. Das ist nachvollziehbar. Doch leider belegen die Autor*innen diese Beobachtungen mit Zitaten ihrer eigenen vorher veröffentlichten Artikel, anstatt international renommierte Arbeiten zu zitieren. Auch verstehen die Autor*innen nicht, dass Interferone eine Infektion nicht verhindern, sondern eine Verbreitung des Pathogens im Körper bremsen.

Die Autor*innen haben Daten aus 31 Ländern von fünf Kontinenten gesammelt. Die Daten beinhalten die gemeldeten COVID-19 Fälle, Wetter, Luftfeuchtigkeit, Populationsdichte, die Art und Schärfe von Lockdown-Maßnahmen und das Vorhandensein von Wochenenden.

Dabei handelt es sich um eine retrospektive Literaturarbeit. Die verwendeten Daten wurden aus öffentlich einsehbaren Internet-Portalen gesammelt. Zu diesen Portalen gehören das deutsche Robert-Koch-Institut, sowie weitere staatliche Einrichtungen weltweit, aber auch so fragwürdige Quellen wie Wikipedia. Leider geben die Autor*innen nur die Homepage der entsprechenden Einrichtungen an, nicht die Seite mit den Daten, die sie tatsächlich abgerufen haben. Das ist keine Quellenangabe, das ist unwissenschaftlich. Mehr als ein halbes Dutzend der Links führen zu einem Fehler 404. Darunter die Links in den USA, der Schweiz und Schweden. Das ist mehr als fragwürdig!

Die Autor*innen begehen zwei klassische Fehler in ihrer Arbeit: Der erste liegt in der Rosinenpickerei der verwendeten Daten. Es werden nur bestimmte Länder gewählt, mit willkürlichen Beobachtungszeiträumen. Was uns dabei besonders auffällt, ist die Tendenz der Autor*innen, alle die Länder aus der Statistik zu nehmen, die ihrer Prämisse nicht entsprechen. 8 der 31 Länder werden grafisch dargestellt, sieben Europäische und die USA. Als Begründung dient die kurze Pollen-Saison. Schweden, ein Land, das durch seine laxe Regulierung eigentlich ein Paradebeispiel für diese Studie sein sollte, wird komplett ignoriert, da die Pollenkonzentration zu gering für ihre Studie war! Interessanterweise hat Schweden weltweit eine der höchsten COVID-19 Todesraten gemessen an der Bevölkerung, trotz eines Mangels an Pollenflug. Dies passt nicht in die Erwartungshaltung der Autor*innen, daher wurde dies einfach ausgelassen.

Der zweite Fehler geschieht leider recht häufig: Die Autor*innen bemühen sich nach Kräften, ihre These zu beweisen. Sorgfältige naturwissenschaftliche Arbeiten machen das Gegenteil: Es wird nach Kräften versucht, die eigene These zu widerlegen. Erst wenn das nicht gelingt, hat diese These Bestand.

Uns Virolog*innen kommt natürlich auch noch der Gedanke, dass der Pollenflug mit seinen Effekten auf das angeborene Immunsystem auch Erkrankungen mit anderen respiratorischen Pathogenen beeinflussen könnte. Dies wird in dem Artikel leider nicht geprüft.

Seit einem Jahr suchen Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen nach Faktoren, die die Schwere einer COVID-19 Erkrankung beeinflussen. Allergien waren bislang nicht als Auslöser bekannt. Leider trägt diese unseriöse Arbeit nicht dazu bei, hier Klarheit zu schaffen.

Um das Ganze abzurunden, möchten wir noch auf einen weiteren schweren Lapsus hinweisen: In einer Abbildung wird ein Vergleich gezogen zwischen dicht- und dünnbesiedelten Gebieten. In dichtbesiedelten Gebieten war die Infektionsrate in Zeiten des Pollenfluges höher als in anderen Zeiten, während dies in dünnbesiedelten Regionen nicht der Fall war. Die Autor*innen ignorieren eine einfache mögliche Erklärung. Pollenflug findet bei trockenem, warmem Wetter statt. Das ist genau die Zeit, in der in Großstädten riesige Mengen an Menschen dicht an dicht in den Fußgängerzonen und in den städtischen Parkanlagen flanieren. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Daten der Studie genommen wurden, gab es in Europa noch kein Maskengebot. Manchmal lohnt es sich, das menschliche Verhalten miteinzubeziehen.

Ein Punkt, den wir sehr verstörend finden, ist die finanzielle Unterstützung dieses Projekts durch zahlreiche EU-Förderprogramme. Hier werden schlicht und ergreifend Steuergelder verschwendet.

Diese Veröffentlichung ist eine Schande! Für die Autor*innen, für ihre Forschungseinrichtungen, für die Zeitschrift und für die Gutachter*innen (wenn es denn überhaupt Gutachter*innen gab).

Das erinnert uns an die Universität Hamburg, die vor ein paar Monaten ebenfalls eine Pressemitteilung herausgab zu einer „Publikation“ eines fachfremden Wissenschaftlers, der anhand von Dokumenten aus Wikipedia, Twitter und Facebook beweisen wollte, dass SARS-CoV-2 aus einem chinesischen Labor stammt.

Solche unseriösen Beiträge schaden der deutschen Wissenschaft.

Bitte, essen Sie weiter Broccoli, und tragen Sie FFP2-Masken. Broccoli schadet nicht, FFP2-Masken schützen Sie vor allerlei Verunreinigungen in der Atemluft: Viren, Bakterien, Feinstaub und auch Pollen, nicht aber vor Dummheiten wie dieser Publikation.

Zum Schluss noch ein aktueller Hinweis zu einer ganz anderen Sache, der Deutschen Reiseverrücktheit. Leider gehen die dummen politischen Entscheidungen nicht zu Ende. Das Auswärtige Amt hat beschlossen, einige Reisewarnungen zurückzunehmen. Daraufhin sind die Buchungen bei deutschen Reiseveranstaltern explodiert. Es scheinen doppelt so viele Buchungen wie vor der Pandemie zu sein. Ab dem kommenden Wochenende werden bis Ostern Tausende Deutsche auf Mallorca einfallen, und dies bei einem erneut beginnenden exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen. Was für ein Wahnsinn!

Unsere Prognose: Spätestens nach Ostern wird auf den Balearen wieder ein Lockdown kommen, mit Dank an die sehr rücksichtsvollen Touristen. Reiserückkehrer müssen nicht mehr in Quarantäne, dies wird zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen führen. Dazu brauchen wir keine Glaskugel.

Ihr Jörg Baumann und Ihre Sabine Breun

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